Dieter Grossmann
 

Wanderer zwischen Zeit und Raum


Nah sind sie uns, und gleichzeitig sind sie uns fremd, seine Bilder — gemalt in der für ihn typischen, ihm längst zum Markenzeichen gewordenen Technik und auch er selber, sensibler Schöpfer dieser rätselhaften Werke, blieb uns ein „wohlbekannter Fremder", ein „Unbehauster mit Wohnsitz in Ulm" seit über 30 Jahren ...

Die Rede ist von Hans-Dieter Grossmann, Maler (aus Neigung/Leidenschaft) und (Werbe-)Grafiker (mehr aus damaliger Notwendigkeit heraus, für die Familie zu sorgen) -... dennoch, zum Ulmer ist er nie geworden; so wenig wie er je in der Vergangenheit zum Berliner geworden wäre. Nicht daß er je etwas gegen diese Münsterstadt oder persönlich etwas gegen irgendeinen ihrer Bürger gehabt hätte. Und im Lauf der Jahre hat er hier einen Freundeskreis um sich geschart, treue Freunde von der Sorte wie man sie selten findet heutzutage. Er reiht sich ein, aber bleibt doch letztlich außen vor. Er setzt sich hinzu - und setzt sich ab, setzt sich fort in doppeltem Sinne in seinem künstlerischen Tun. Flucht in seine Bilder: Bilder, die seine eigentliche Heimstatt, seine Adresse sind. Jeder, der mit seinen Arbeiten vertraut ist, ihnen mehrfach auf Ausstellungen begegnet ist, kennt die ihn umtreibende Thematik, kennt die Sujets eines Hans-Dieter Grossmann in ihrer „geronnenen" Zustandsform: als da sind die zahlreichen Landschaftsaquarelle, die „Mauer"-Bilder - weibliche Akte, die in Mauerwerk verwoben oder verfallen sind - die festnagelnden Prominenten-Porträts (keine Auftragsarbeiten!) oder mitleidslos „nackten" Selbstbildnisse, die kritisch-seherisch stellungsbeziehenden „Umwelt-Zyklen und das rein dokumentarisch Festgehaltene, wie Brandenburger Tor, Münsterjubiliäum etc. sowie die Serie der Farbkompositionen. Alles in allem mag für manch einen aufgrund des erwähnten Gerinnungseffektes, der keine scharfen Konturen zuzulassen scheint, das Werk von Hans-Dieter Grossmann einen verwischend-geschönten Charakter haben. Ein anderer vielleicht wird darin ein bewußtes Sich-Entziehen, eine in der Schwebe zwischen Sein und Nichtsein befindliche Haltung wahrnehmen. Vielleicht auch - so fragt man sich -sind die Gerinnsel eines H-D-G schlicht das, was die Synkope in der Musik ist: die Betonung des Unbetonten (Taktwertes)? Ganz anders - in diesem Reigen total aus dem Rahmen fallend — die schockierenden, ins Surreale reichenden „Abrechnungs-"-Bilder. Mit ihrem Freudschen Instrumentarium könnten sie justament aus der Seelenwerkstatt des berühmten Psychiaters hervorgegangen sein. Hier wütet einer selbstquälerisch-befreiungssüchtig gegen das übermächtige weibliche Prinzip, wehrt sich einer in gewalttätiger Ohnmacht gegen den angsteinflößenden Mythos „Frau", macht sich einerseits klein und häßlich und reduziert andererseits den weiblichen Körper zu einem verriegelten Abdomen...

Hier wird der Künstler-Täter, der immer auch Opfer ist, unbequem, hält uns den Spiegel vor. Menschliche Nachtseiten sind ans Tageslicht gezogen, das macht betroffen, ruft Ablehnung hervor; das wird als peinlich empfunden, das rührt an Bereiche, die keiner wahrhaben will...

Als Maler erlebt man Hans-Dieter Grossmann stets zurückhaltend im Umgang mit der Farbe. Beim Porträtieren und bei der Darstellung von Landschaftsszenerien bestätigt sich der Künstler als feinnerviger, detail-genauer Zeichner. „Ein strenger, unbestechlicher, doch einfühlsamer Lehrmeister" - so charakterisieren ihn seine Kursteilnehmer, denen er in 20 Jahren Tätigkeit an Volkshochschule und Universität die Grundzüge wie auch die hohe Kunst des Aktzeichnens vermittelt hat. Neben dem nach wie vor verwendeten lebenden Modell für Akte und Porträts bedient er sich mehr und mehr auch der modernen Medien, greift zu selbstaufgezeichneten Videos als Vorlage für differenziertes Erfassen von Gesichtern und Mienenspiel.

Apropos Video: Zunehmend befaßt er sich auch mit dem weiten Feld der Video-Kunst, experimentiert er mit den vielfältigen Möglichkeiten, technische Effekte künstlerisch auszureizen.

Was seinen Stil angeht, so wechselt er auch hier scheinbar mühelos die Seiten: verfremdet Gegenständliches zum Abstrakten hin und komprimiert waberndes Schattengewebe und Liniengeschlängel zum anthropomorphen Gebilde. Was dem Autor seine Zettelkästen, das sind für den Maler die Skizzenblätter. Vieles von dem. was sich im Aquarell niederschlägt, hatte seinen Ausgangspunkt im Wald: Dort, auf Wanderungen fühlt sich das Künstlerauge magisch angezogen von seltsamer Baumwucherung, knorrigem Wurzelwerk oder skurrilen Moospolstern. Eine „flüchtige" Bleistiftskizze wird gestrichelt... Und irgendwann - wenn es in den Fingern kribbelt, wenn ihn diese wohlbekannte Schöpfer-Unruhe befällt, dann wird die Skizze gewählt, zu der man eine besondere Beziehung verspürt. Ein neues Werk entsteht.

1998 Gisela Kalaritis
 

WANDERER BETWEEN TIME AND SPACE


 
They are near us, and yet they are strangers for us, his pictures – painted in his particular techniques which have become his trademark since a long time. He himself, sensitive creator of this mysterious oeuvre, remained a “well known stranger" for us, a "homeless person" residing in Ulm since more than 30 years…
 
We deal with Hans-Dieter Grossmann, painter (by talent and passion) and graphic designer (more by necessity as a provider for his family) – however, he has never become an Ulmian; the same way as he would have never become a Berliner in the past. Not that he ever had anything against Ulm with its Gothic Cathedral or personally against any citizen of this town. And here, over the years, he has gathered a group of friends around him, faithful friends of a sort rarely to be found these days. He ranks himself amongst them, but yet stays outside. He joins them-and distances himself, continues, in a double sense, in his work as an artist.
 
Flight into his pictures: pictures which are his real home and address. Anybody who is familiar with his work, and who has encountered his paintings at exhibitions knows the subjects of Hans-Dieter Grossmann in their "coagulated" aggregate form: There are the many water-colour paintings of landscapes, the "wall" pictures, female acts woven into masonry work or falling apart – the down-pinning portrayals of prominent people (without having received specific orders) or the "nude" self portraits without pity for himself, the critically prophetic "environmental’ cycles, expressing a clear position, and the purely documentary pictures like the Brandenburg Gate, Ulm Cathedral, etc., as well as the colour compositions. In summary because of the aforementioned coagulation effect which does not seem to allow distinct contours, for quite many a viewer of Hans-Dieter Grossmann’s oeuvre his work may have a blurringly beautiful character. Somebody else would observe in this trait a conscious withdrawal, an attitude balancing between existence and non-existence. You may perhaps ask yourself, too, whether Hans-Dieter Grossmann’s clots are simply what syncopation is in music: the attenuation of the unattenuated (tactworthy)? In this round, totally outside of this frame, quite different the shocking, entering surrealism "settlement" pictures with their Freudian instruments they could originate directly from the soul workshop of this famous psychiatrist. Here somebody engages in a self-torturing manner against the overwhelming female principle, somebody defends himself in a violent helplessness against the mythos "Woman" spreading fear, makes himself small and ugly on the one hand and reducing on the other hand the female body into a closed abdomen…
 
Here becomes the artist-doer uncomfortable, who is always a victim, too, who confronts us with a mirror. The nightly human sides are brought to light, this renders concern, invokes opposition; causes embarrassment, this touches sectors which nobody wants to be true…
 
You experience Hans-Dieter Grossmann as reserved in the usage of colour. When portraying and representing landscape sceneries the artist shows his a sensitivity and detail-correct design. "A strict, empathetic master who cannot be bribed" – thus characterized by his students, who during 20 years of teaching them the art of live painting at the Ulm Volkshochschule and of the Ulm University. Besides using nude models for live paintings and portraits he uses more and more, too, modern media; he uses self-made videos as models for differentiated means to trap faces and mimics.
 
By the way, video: Increasingly, he occupies himself with the wide field of video art, experimenting with its diverse possibilities in order to fully indulge the technical effects artistically.
 
As far as his style is concerned, he easily changes sides seemingly without difficulties: He estranges concrete objects to the abstract and compresses wobbling shadow-tissues and line-meandering into anthropomorphous creations. What constitutes for the author his card index, for him is the collection of sketches. Many a water painting (aquarelle) has its origin in the woods: There the artist’s eye feels magically attracted by strange tree tumors knotty roadwork or farcical moss polsters.
 
A ‘fugitive’ pencil sketch is being streaked… And at some point when the fingers are itching, when he is haunted by this well-known creator’s unrest, then the sketch is selected for which he feels having a special relationship. A new oeuvre is being created.
 
1998 Gisela Kalaritis
 

 
 
 
 
Dieter Grossmann