Gerhard Bogatzki malt Tafelbilder mit akribisch genau erfasster Gegenständlichkeit, und er erarbeitet mit dem Computer Grafiken, die mit den raffiniertesten Lithos früherer Zeiten Schritt halten können. Gemessen an der gegenwärtigen Kunstszene ist die Neigung zum Tafelbild etwas so Altmodisches, dass man es ungern zur Moderne würde rechnen wollen, nähme einen nicht das Sujet der Bilder sogleich gefangen. Und daneben begegnen uns im Werk des Malers Blätter, die, für den Laien kaum erkennbar, mit dem modernsten Verwirklichungsmittel geschaffen sind, das die Gegenwart kennt: dem Computer. Wer sich diesen Widerspruch aufklären will, der muß sich den Kunstwelten des Malers und Grafikers Bogatzki schon intensiver widmen.

Der Lebenslauf des Künstlers hat keine einfache und gradlinige Entwicklung genommen. Gerhard Bogatzki, 1938 in Oberndorf am Neckar geboren, hat die gegensätzlichsten Bereiche menschlichen Daseins in sich vereinen müssen: Einst Student an den Akademien für bildende Künste in Stuttgart und Karlsruhe, wurde er Schüler auch von HAP Grieshaber, mit dessen großen Gesten in seinen Grafiken er vertraut war, sich diesen gegenüber aber zugleich distanziert verhielt. Danach wurde er in der Ausbildung zum Grafischen Zeichner und seiner späteren Tätigkeit in der Technischen Dokumentation bei einer hannoverschen Firma mit dem genauen Gegenteil gestalterischer Anforderungen konfrontiert. Aber damals lernte er, was auf seinen Bildern und Grafiken mit einem Blick zu sehen ist: eine profunde Kenntnis aller einschlägigen Darstellungsmittel. Infolge der langwierigen "Abwicklung" dieser Firma verliert er, wie viele andere, seinen Arbeitsplatz. Während der Arbeitslosigkeit beginnt er wieder zu malen. Und sein künstlerischer Ausgangspunkt hier in Hannover wird - das ist in allen Bildern nachzuempfinden - die "Neue Sachlichkeit". Doch es handelt sich nicht, wie man vielleicht allzu flüchtig meinen könnte, um die distanzierte Schilderung der dinglichen Welt als solcher, sondern um das genaue Gegenteil dessen, was sich uns als den Betrachtern im ersten Augenblick aufdrängen will: Nicht die kühl erfasste Sache allein kommt zur Darstellung, sondern auch Erlittenes. Eine ausgeprägte Sensibilität im Erfassen von Situationen hat von den realitätsnah erscheinenden Bildern Besitz ergriffen. Dieses wird nun nicht in einer Art sozial engagiertem Realismus vorgetragen und hat nichts Aufdrängendes und Plakatives; eher waltet in den Bildern etwas Stilles, Hintergründiges, das aus einer den Künstler immer wieder mitreißenden Fabulierlust gespeist wird. Sie überkommt ihn während der Verarbeitung von Umwelterlebnissen und fließt in die Bilder ein. Eine exquisite, ausgewählte Farbigkeit und eine akribische Vortragsweise bis in alle Details suggeriert Einheit- lichkeit im Stilistischen. Doch welchem Bild man sich auch immer zuwendet, eine gespannte Dualität der Aussage läßt sich in fast allen Bildern entdecken: Hier das faszinierende So-Sein der in altmeisterlicher Technik geschilderten alltäglichen Dinge, die gleichzeitig die beunruhigende Atmosphäre eines traumähnlichen Anders-Sein hervor rufen, dessen tiefere Bezüge sich dem Betrachter erst allmählich erschließen. Gelingt es, die so sorgfältige, Gefühle scheinbar verbergende Gegenstandsdarstellung zu durchdringen, sich an einer der zahllosen Merkwürdigkeiten in den Bildern zu stoßen und diesen nachzugehen - dann erst ist man in der Wirklichkeit der Bildwelten des Künstlers Bogatzki angekommen.

Im überblick über die Ausstellung lassen sich leicht vier Motivgruppen unterscheiden: Am auffälligsten ist eine Reihe von Stadt-Landschaften, über denen - oft in Dunkelheit getaucht - Kugelgebilde schweben, die einmal ein Gestirn das andere Mal eine Art Leuchtkugel in schwelender Beleuchtung oder sogar ein Freiluftballon sein können. Als nähere sich die Imagination des Künstlers den im Raum verteilten Dingen, ergeben sich als zweite Motivreihe Nahsichten von Häusern, Dächern und Giebeln in je unterschiedlichem Zustand, wobei ein stufenloser übergang von der ersten zur zweiten Motivgruppe fast selbstverständlich erscheint.

Dann aber werden die Dinge des Alltags im Inneren der Häuser zu Bildthemen erhoben. In scheinbar zufälligem Zusammenstehen erhalten die jedem bekannten Alltagsgegenstände und Utensilien etwas Erhabenes, eine sich aus dem Gewöhnlichen heraushebende Monumen- talität, die aufmerken lässt. Es ist diese Monumentalität, die der Künstler nun auch in einfach arrangierten Obst- und Gemüsestillleben - der vierten Motivgruppe - entdeckt. Deren bestürzende plastisch-farbige Intensität wird aus der Isolierung der alltäglichen Objekte zu einsamer Existenz gewonnen. Eine Feinfühligkeit für das Einmalig-Besondere gerade dieser Konstellation hält Einzug in eine an sich reale Motivwelt. Der Maler vertieft die Wirklichkeit in kritischer Sehnsucht nach Wahrheit, in einer Welt des Scheins und der Täuschung.

Eine neue Dimension des Bildhaften öffnet sich dem, der dem Gedanken der Vereinzelung und Vereinsamung in den Bildern Bogatzkis nachgeht. Das lapidare So-Sein der gewählten Gegenstände suggeriert dem Betrachter eine jeweils auf gerade diesen Gegenstand bezogene partikulare Existenz, die unverrückbar und ohne schönende Verbindlichkeit zu benachbarten Gegenständen steht. Ihre eigentümliche Wirkung erhalten sie zu allererst aus den gewählten Farben, die als Stimmungsträger des Bildganzen angesehen werden können. Die Gegenstände bestimmen auf eigene Weise die Bildfarbigkeit. Die Farbkultur der reich modulierten Farbtonwerte läßt sich an jedem seiner Bilder genießen.

In jedem der Bilder dieses Malers einer bedenklich schütter gewordenen Kulturwelt des Heute lassen sich beim Orten und Ordnen der Bildzeichen Schichten des Inhaltlichen abheben, bis ein metaphysischer Grund den Sinn des Bildes erkennbar werden läßt. Auch im Stillleben gerät es dem Maler nicht anders: "Birnen und Trichter", auf einem hölzernen Kasten vereint, in dem klaren Kontrast der Farben - Gelb und Graublau - und der Formen, der lebendig schwingenden Kontur der Früchte gegenüber dem Technisch -Rationalen des industriell gefertigten Geräts. Besonders die wie Schornsteine angeschwärzten Trichterröhren deuten auf das "Veredelungshandwerk" des Destillieren, auf die Metamorphose des Natürlichen. Im hölzernen Kasten in behaglichem Braunton sind die Gerätschaften der Genießer verborgen, und die im Vordergrund liegende Birne wirft den Schatten einer vollkommenen Ellipse so auf die Tischfläche, dass sich die hellen Teile wie ein Buchstabenzeichen lesen lassen. So dringt durch alle Bilder ein Gefühl des Unergründlichen, das gleichwohl zum Denken und Assoziieren auffordert, als seien die Bilder Kürzel abendländischen Philosophierens...

Alles, was für die Bilder Gerhard Bogatzkis gilt, lässt sich auch in seinen grafischen Blättern wiederfinden. Auch hier erweist er sich als Meister des technischen Angebots, das ein Computer heute in sich verborgen hält. Darüber nun sollen abschließend noch einige Worte gesagt werden, um Missverständnissen entgegenzutreten: In der Tat, die Grafiken können Lithos verblüffend ähnlich sein, aber sie sind doch etwas ganz anderes. Wie alle traditionellen Vervielfältigungen ist auch die ca. 200 Jahre alte Lithografie sozusagen eine "festgelegte" Reprotechnik: Der Computer - oder besser seine für die Herstellung von Grafiken installierte Software - arbeitet nun mit völlig neuen Technologien. Die Zugriffsmöglichkeiten werden durch spezielle, auf das Betriebssystem abgestimmte Anwendungen gesteuert und besitzen inzwischen eine so weitreichende Vielfältigkeit, dass diese von den Anwendern kaum noch vollständig übersehen werden können. So hat der in diesen Techniken Kenntnisreiche schier unendliche Möglichkeiten, im Arbeitsprozess fortwährend Konstellationen zu erzeugen, die Entscheidungen von ihm fordern. Wer in diesen digitalen Labyrinthen einmal gearbeitet hat, wird mehr oder weniger mitgerissen von den vielen sich neu eröffnenden Ansichten, die sich aus Zufall oder Kalkül ergeben. Das ausgedruckte Blatt ist dann auch bei Bogatzki folgerichtig nicht die im Speicher festgelegte einzige Fassung - obwohl diese Beschränkung möglich wäre -, sondern eine von zahlreichen verfügbaren Varianten, so dass der Künstler von seinen Blättern behaupten könnte, dass sie einem früheren "Handabzug" im Hochdruck näher sind als jedem, bisher mittels Maschine über Stein, Sieb oder Tiefdruckplatte gewonnenen Auflagendruck. Nicht Reproduktion sondern Kreation müßte genannt werden, was zur "Computergrafik" führt, will man dem gerecht werden, was sich da zwischen Maschine, Programm und Mensch auf dem Bildschirm ereignet.

Bogatzki folgt in seinen Computergrafiken einmal den Konzepten seiner Ölbilder, wie z. B. in dem Blatt "Abschied" mit vielen kunsthistorischen Bezügen, dann wird auch das zum Bild, was nur der Computer in dieser Präzision (z.B. Textur-Frequenzen) liefern kann, letztlich nutzt der Künstler die verfügbaren Filter und Programm-Tools bei der Bildherstellung, um zu eher rhythmisch geordneten Bildformen zu gelangen, wie z. B. in dem Blatt "Torso".

Wer Bogatzkis künstlerisches Anliegen nachvollziehen kann, für den ist es verständlich, dass er auch die Möglichkeiten des Computers nutzt, um durch Bannung des Unbeschreiblichen in Bildern seiner Gesichte Herr zu werden. Dieses "unergründliche Etwas", das sich als spannungsvolles Elixier des Geistes zu erkennen gegeben hat, wirkt auf den Betrachter ein und macht die aus dem Inneren der Person des Künstlers aufsteigende Fähigkeit der bildhaften Bändigung von Visionen und Un-Heimlichkeiten in dieser Welt für uns sinnfällig. Es ist die Grundstruktur des Künstlers selbst, die sich dem Betrachter verschlüsselt darbietet. Was sich uns zeigt ist keine "Neue Sachlichkeit", eher ein absichtlich unterkühlter aber dennoch leidenschaftlicher Appell sich der Widersprüche bewusst zu werden, die bei einer sensibleren Begegnung mit dem wahren Wirklichen in diesen Bildern intensiviert aufbrechen.

Prof. Klaus Kowalski