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Letzte Überprüfung
Das Projekt Letzte
Überprüfung im Grenzwachturm Schlesischer Busch ist
abgeschlossen. Von 2005 bis 2009 bildete der
ehemalige Wachturm der Berliner Mauer den Ausgangspunkt
für künstlerische
Auseinandersetzungen mit dem Thema Grenze in Form von raumbezogenen,
interventionistischen und situativen Einzelpräsentationen
internationaler Künstlerinnen und Künstler. Das Projekt erfreute sich eines stetig wachsenden
Interesses, sowohl bei der Berliner Öffentlichkeit als auch bei
Touristen. Unter den Orten, die an die
Berliner Mauer und die Zeit der deutschen Teilung erinnern, formulierte
die
Letzte
Überprüfung eine eigenständige Position durch
den Ansatz, mittels künstlerischer Interventionen Vergangenes mit
Gegenwärtigem im Verbindung zu bringen. Recherchen zur Geschichte
des Wachturms und des Grenzabschnitts begleiteten das
Ausstellungsprogramm. |
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Geschichte der Führungsstelle im
Schlesischen Busch
Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer und die
Grenzen der DDR öffneten sich. Ein Jahr später war die
Existenz der DDR beendet. Aber bis heute ist die Berliner Mauer ein
Symbol, einerseits für den Kalten Krieg, der nicht nur
Deutschland, sondern die ganze Welt in zwei Hälften spaltete und
andererseits für den Zwang, den die SED (Sozialistische
Einheitspartei Deutschland) auf ihre Bürger ausübte.
Die Geschichte der Berliner Mauer begann in der Nacht vom 12. zum 13.
August 1961. An der Grenze zwischen dem von der Sowjetunion und dem von
den West-Alliierten kontrollierten Teil Berlins errichteten
Volkspolizisten und Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) eine
provisorische Mauer aus Stacheldraht und Betonklötzen. In den
folgenden Jahrzehnten wurden die Grenzanlagen ausgebaut und
perfektioniert (weiter zum pdf). |
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LÜ
2009
Sven Johne: Tears
of the Eyewitness
14.8. - 27.9.09
„Sie erinnern sich jetzt bitte daran:
an die Nacht des 9.Oktober 1989, an die erste große
Massendemonstration in Ostdeutschland seit 1953, 70.000 Menschen sind
auf dem Leipziger Ring unterwegs. 8.000 Polizisten und Soldaten stehen
denen gegenüber. Die Demonstranten sind eingeschüchtert, weil
die lokale SED-Presse eine „chinesische Lösung“ in Aussicht
gestellt hat. Aber diese Demonstration der Leipziger ist der machtvolle
Beginn des Untergangs der DDR. Diese Demonstration war entscheidend
für den Untergang des gesamten Ostblocks.“
Wir sind inmitten einer professionellen Fernsehproduktion. Ein
Motivationstrainer und ein etwa 40-jähriger Schauspieler sitzen
sich
gegenüber: Es soll „emotionales Füllmaterial“ für eine
Dokumentation
zum Fall der Mauer produziert werden. Das ist die Ausgangssituation
für
die Videoarbeit von Sven Johne, die er im ehemaligen Grenzwachturm im
Schlesischen Busch präsentiert.
Sven Johne ist 1976 in Bergen auf Rügen geboren und hat bis 2006
an der
HGB Leipzig bei Timm Rautert Fotografie studiert, seit Ende 2008 lebt
er in Berlin. Ausgehend von der eigenen Biografie bildet die
Beschäftigung mit der DDR und ihrer Auflösung einen
Arbeitsschwerpunkt.
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In dem
für den Wachturm im Schlesischen Busch konzipierten Film „Tears
of the Eyewitness“ steht die Konstruktion von Erinnerung im Zentrum.
Die Aufgabe des Motivationstrainers ist es, „echte Gefühle“ im
Schauspieler zu erzeugen und ihn zum Weinen zu bringen. Indem er die
dramatischsten Ereignisse des Jahres 1989 in Deutschland – und vor
allem in Leipzig – Revue passieren lässt, will er an die
persönliche
Erinnerung des Schauspielers appellieren. Er ruft Bilder auf, die ins
kollektive Gedächtnis eingegangen sind, erwähnt aber auch
Situationen,
die weniger bekannt sind. Es entsteht ein befremdliches Wechselspiel
zwischen artifiziellen und ehrlich empfundenen Emotionen, das – 20
Jahre nach dem beschworenen Ereignis – auch die Betrachter des Videos
erfassen wird.
Parallel zur Ausstellung im Wachturm findet mit „Reconstructed Zone.
Aktuelle Kunst zur DDR und danach“ im Kunstverein Wolfsburg eine von
Anne Kersten kuratierte Ausstellung statt, an der Sven Johne ebenfalls
mit einer filmischen Arbeit teilnimmt.
Die Ausstellung im Wachturm ist kuratiert von Christine Heidemann und
Anne Kersten im Rahmen der Projektreihe „Letzte Überprüfung"
von Svenja
Moor.
Mit freundlicher Unterstützung des Kulturamtes
Treptow-Köpenick
Dank an die Sammlung Kaufmann Berlin
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Sven Johne: Sven Johne: Tears of the Eyewitness, 2009
(Video, 23 min., Engl. mit dt. Untertiteln), Studioshot, © Sven
Johne
Sven Johne „Tears of the Eyewitness" (2009, Video,
23 Minuten, Engl. mit dt. UT)
Schauspieler: Chris Woltmann und Marco Albrecht
Kamera/Licht: Steve George Kfoury
Ton: Marcel Timm
Dolly Operator: Hagen Eltzsch/Julia Stöckmann
Maske: Gülten Özcan-Tomm
Schnitt: Sven Voss
Rezension
der Ausstellung auf Artnet.de
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Kinga Araya: Ten
Steps
5.6.–26.7.09
Mit der Ausstellung „Ten Steps“ nimmt
die in Polen gebürtige, in Kanada ausgebildete und derzeit in den
USA lebende Künstlerin Kinga Araya auf zwei Ereignisse
Bezug, die beide vor 20 Jahren stattgefunden haben: ihre illegale
Ausreise aus Polen über Florenz und den Fall der Mauer in Berlin.
Vor einem Jahr erwanderte Araya im Rahmen einer Performance gemeinsam
mit anderen realen und virtuellen Teilnehmern den kompletten, 160 km
langen ehemaligen Grenzstreifen in und um Berlin innerhalb von zehn
aufeinander folgenden Tagen. Die Performance mit dem Titel „Performing
Exile: Walking the Wall“ begann am 15. Juli nördlich des
Flughafens Schönefeld, folgte dem Mauerverlauf entgegen dem
Uhrzeigersinn und erreichte am 24. Juli wieder ihren Ausgangspunkt.
Im Grenzwachturm Schlesischer Busch präsentiert Araya nun eine
Videodokumentation dieser Performance, unterlegt durch einen
Kommentar und die während des Walks aufgezeichneten Gespräche
und Geräusche. Hörstationen und Fotografien, die über
den gesamten Wachturm verteilt sind, beziehen sich auf Themen der
Grenzübertretung und des
Lebens
zwischen den Ländern und den |
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Nationen –
Themen, die nicht nur
Arayas Biografie, sondern auch ihr künstlerisches Schaffen
bestimmen.
Der freie Kommentar, der die Bilder vom Voranschreiten der
Füße und dem
gelegentlichen Innehalten zum Studieren der Karte begleitet,
verdeutlicht den Stellenwert persönlicher Geschichten.
Gleichzeitig
entsteht ein Bild von der Geschichte als gemeinsam im ständigen
Austausch verbrachte Wegstrecke. Araya zeichnete die vorwiegend auf
deutsch und englisch, aber auch in lettisch, polnisch und italienisch
geführten Gespräche auf, die sich während der
Wanderung entwickelten,
ebenso Momente, die das Wandern begleiteten wie das Anhalten, Ausruhen,
Tanzen, Verirren, das Folgen verbotener Wege und schließlich das
Wiederherausfinden aus dem ehemaligen Grenzstreifen.
„Mein Spaziergang entlang der ehemaligen Berliner Mauer war keine
vorhersehbare, geplante Performance. Im Gegenteil: Sie war
beflügelt
von Logos und Pathos, von rationaler Überlegung und vom
Gefühl
gleichermaßen. Sie war eine Auseinandersetzung über meinen
Weg von
einer osteuropäischen Staatsangehörigen zu einem autonomen
und
schöpferischen Subjekt der westlichen Welt. Sie handelte von dem
Prozess des ständigen Auf- und Ab, verursacht durch meine
politischen, |
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Kinga Araya:
Ehemaliges Flüchtlingslager, Rom, August 2008
sprachlichen und kulturelle Beschränktheit innerhalb des
italienischen
und kanadischen Rechts bezüglich Einwanderung und
Staatsbürgerschaft.
Und sie schuf in mir ein Bewusstsein, was es bedeutet, zwanzig Jahre
meines Lebens im Schatten des Eisernen Vorhangs und zwanzig Jahre im
Westen verbracht zu haben.“ (aus: Ten Steps, Video,
2009)
Die Ausstellung wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung
des ICI Institute
for Cultural Inquiry Berlin. Vielen Dank den Mitwanderern sowie
Paula
Brooks Jawitz und Rodney Woosley.
Kinga Araya und Svenja Moor (Kuratorin) im Interview
auf art-in-berlin.
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Birgit
Schlieps: Niagara Falls
1.5. – 31.5.09
Wasserfälle sind Ereignisse, Spektakel mit ungebrochener
Anziehungskraft. Ihre Faszination besteht in der Gewalt der nicht
nachlassenden Wassermassen, dem tosenden Lärm und dem feinen
Sprühnebel, der das Sonnenlicht in leuchtende Spektralfarben
bricht. Als Sehnsuchtsmotiv sind sie beliebtes Objekt von Postkarten
und Reisefotografien, aber auch Vorbild für Nachahmungen in Parks,
Gärten und öffentlichen Räumen. Gegen Ende des 19.
Jahrhunderts erhielt etwa der Viktoriapark in Berlin-Kreuzberg einen 24
Meter hohen Wasserfall, eine vergrößerte Kopie des eine
Tagesreise entfernten Heynfalls im Riesengebirge. Auch in der bildenden
Kunst ist der Wasserfall Motiv, vor allem aber Imaginationsmaterial,
das angeeignet, kopiert und verfremdet wird. Im vergangenen Jahr
realisierte zum Beispiel Olafur Eliasson mit den „New York City
Waterfalls“ ein Spektakel, das den Wasserfall als Ingenieursleistung
und als Naturschauspiel zugleich aufführte.
Für den ehemaligen Wachturm im Schlesischen Busch Berlin adaptiert
die Künstlerin Birgit Schlieps ebenfalls einen Wasserfall. Auf die
Innenwände des Wachturms ist eine Ansicht der Niagarafälle in
Form einer Fototapete angebracht. Grundlage bildet eine Fotografie, auf
die Birgit Schlieps 1992 durch einen Zufall in New York stieß.
Auf einem Flohmarkt fand sie ein Fotoalbum mit 31 Fotografien der
Niagarafälle. Die Aufnahmen sind mit einer Balgenkamera gemacht
und stammen von zwei Brüdern, die 1920 die berühmten
Wasserfälle an der Grenze zwischen den USA und Kanada besuchten. Im Fotoalbum ist präzise
verzeichnet, von welcher Seite aus die Fotos
entstanden und welche
Teile der Wasserfälle jeweils zu sehen
sind. Das Motiv im Wachturm ist
eine Gesamtansicht, das sowohl
die
(amerikanischen) Niagarafälle als auch
die (kanadischen) Horseshoe Falls zeigt. Es wurde von der
„International Suspension Bridge“ aus aufgenommen, einem
gewissermaßen
idealen Standpunkt, auf der Grenze bzw. im Niemandsland zwischen
den beiden Staaten.
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General
view of Niagara Falls from Int. Bridge, September 1920 (private
Aufnahme von zwei unbekannten Brüdern, die für die
Cunard Schifffahrtsgesellschaft in New York arbeiteten)
Birgit Schlieps: Niagara Falls,
Innenansicht, Foto: Silke Helmerdig
Das Motiv ist grob gerastert und zerstiebt in eine Vielzahl von
einzelnen Punkten, ähnlich dem Sprühnebel, den ein Wasserfall
erzeugt.
Erst mit einigem Abstand setzt es sich zu einem Bild zusammen, wobei
durch die räumliche Enge im Wachturm der Illusionismus teilweise
wieder
aufgelöst wird und die Aufmerksamkeit zum Atmosphärischen des
Naturereignisses und gleichzeitig zur technischen Beschaffenheit des
Bildes und damit auf die Frage der Wahrnehmung gelenkt wird.
Birgit Schlieps' Interesse gilt diesem Dritten, das in der Wahrnehmung
entsteht und das sie, in Anlehnung an ein
Zitat von Martin Kippenberger
als „tranceartige Topologie“ bezeichnet. Kippenberger
beschreibt die
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Naturwahrnehmung auf der
Basis der physischen Verfasstheit in seinem Text „1984. Wie es wirklich
war am Beispiel Knokke“ mit folgenden Worten: „Ich blinzele in den
Himmel. Wenn man direkt in die Sonne schaut und anschließend die
Augen
zukneift, leuchtet es orangerosa mit zwei blaugrünen Kreisen auf.
Ich
liebe das und blinzele in den Himmel. Psychedelic auf Sparflamme, aber
gut.“ Unter „Topologie“ versteht Birgit Schlieps konkrete
räumliche
Lagebeziehungen, die in der Imagination zum Bestandteil verschiedener
Orte und Wirklichkeiten werden können. So wird der Wasserfall im
Wachturm zu einem imaginierten Ereignis, das die verschiedenen
zeitlichen und räumlichen Ebenen miteinander verschmilzt:
Ontario/Upstate New York 1920, wo die Aufnahme entstand, New York W
25th St/Ave of the Americas/Fith Ave 1992, wo sie auf das Fotoalbum
stieß und schließlich der gegenwärtige Ort und
Zeitpunkt: Berlin,
Schlesischer Busch, 2009.
Außen am Wachturm installiert Schlieps ein Holzgerüst, wie
man es vom
Kulissenbau kennt und welches die Vorstellung von der Stabilität
und
Dauerhaftigkeit des Gebäudes unterminiert. Der bildhauerische
Eingriff
lässt den Wachturm als temporäre Konstruktion einer
Wirklichkeit
erscheinen, die jederzeit demontierbar ist.
Auch die politische Grenze ist ein imaginierter, ein abstrakter Ort,
der erst in der Überlagerung verschiedener räumlicher und
zeitlicher
Ereignisse entsteht. Indem Birgit Schlieps auf die Physis des Wachturms
das Bild eines grenzüberschreitenden Wasserfalls projiziert, wird
auch
dieser Prozess sichtbar.
Die Ausstellung „Birgit Schlieps: Niagara Falls“ wurde realisiert mit
freundlicher Unterstützung von Lutz Alder und des Kulturamtes
Treptow-Köpenick.
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LÜ 2008
Christine Berndt: Opernskulptur
"Dorle"
8.5.–8.6.08
Unter Mitwirkung
von Helmut
Oehring (Komposition) und Natalia
Pschenitschnikowa (Gesang/Flöte)
sowie Torsten Ottersberg (GOGH sound production)
Christine Berndt: Opernskulptur
"Dorle", "Wir waren auch fröhlich", Installation im Erdgeschoss,
DVD, 15 min
Für den
ehemaligen Grenzwachturm im Schlesischen Busch in Berlin
Treptow-Köpenick hat die Künstlerin Christine Berndt die
Opernskulptur „Dorle“ entwickelt. Das Projekt, das in Zusammenarbeit
mit dem Komponisten Helmut Oehring und der Sängerin Natalia
Pschenitschnikowa entstand, inszeniert DDR-Geschichte als Verbindung
von Dokumentation, zeitgenössischer Musik und architektonischer
Intervention. Ausgangspunkt ist
der Grenzwachturm als Relikt und
architektonisches Zeugnis des DDR-Regimes; er bildet den Rahmen
für die Biografie von „Dorle“, einer Frau, deren
Familiengeschichte auf paradigmatische Weise deutsche Geschichte
erzählt.
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Die multimediale
Ausstellung nimmt auf drei Ebenen Bezug auf „Dorles“ Leben und folgt
damit der vorgegebenen vertikalen Architektur des Wachturms: Im ersten
Geschoss verweist die Videoinstallation „Propaganda“ mit Ausschnitten
aus der deutschen Wochenschau im Zeitraum 1942 bis 1945 auf den Zweiten
Weltkrieg, den „Dorles“ Vater als Wehrmachtsgeneral vor Stalingrad
erlebte und der die Folie von „Dorles“ Familiengeschichte bildet.
Obwohl diese Jahre vom Krieg geprägt sind, beschränkt sich
die Auswahl auf alltägliche und scheinbar periphere Ereignisse,
die durch ihre propagandistische Inszenierung ebenso in das kollektive
(Unter-)Bewusstsein eingegangen sind wie die repräsentativen
Kriegsbilder jener Zeit.
Im zweiten,
fensterlosen Geschoss des
Wachturmes umfängt ein umlaufendes Textband den Besucher. Es
handelt sich um Auszüge aus „Dorles“ Tagebuch, die von „Dorles“
gescheiterter Republikflucht, ihrer anschließenden
Gefängnishaft und schließlich ihrer Tätigkeit als
„Inoffzielle Mitarbeiterin“ der Staatssicherheit berichten.
Christine Berndt:
Openskulptur "Dorle", ohne Titel (Auszüge aus "Dorles" Tagebuch),
Installation im Zwischengeschoss, 45 min
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Christine Berndt: Opernskulptur
"Dorle", Uraufführung
Der Besucher wird in die quälende
Selbstbefragung einbezogen, die
„Dorle“ nach dem Ende der DDR und bis zu ihrem Tod mit zunehmender Intensität beansprucht. Die so
genannte Freiwache im obersten Geschoss
wird erfüllt vom Monogesang der „Dorle“. Das 20-minütige
Libretto
(Komposition: Helmut Oehring) variiert Sentenzen aus den Tagebüchern.
Durch den Gesang (Natalia Pschenitschnikowa)
wird „Dorles“
Konflikt
aktualisiert und gegenwärtig; er ist
das unmittelbarste Element
der
dreiteiligen Installation. - Die
Komposition wurde
zur Eröffnung einmalig live aufgeführt. Am Abend des 6. Mai
2008 wurde
der Wachturm zum geschlossenen
Gehäuse, das die Sängerin,
stellvertretend für „Dorle“, umschloss. Vier
Überwachungskameras
zeichneten das Geschehen im Inneren auf und übertrugen die Aktion
der
Solistin auf die Außenhaut des Gebäudes, während
Instrument und Stimme über
Mikrofon und Verstärker in den Außenraum getragen wurden.
Mit freundlicher Unterstützung durch Kunstfonds Bonn,
Köstritzer Schwarzbierbrauerei, Hypo-Kulturstiftung München
und Kulturamt Treptow-Köpenick.
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LÜ 2007
Ulrike
Kuschel: Diese Mauer
3.8. - 30.9.07
Welches Gewicht hat die Meinung eines Einzelnen? Welche Aussagekraft
hat ein Dokument? Welchen Einfluss hat die Form eines Dokuments,
die Art und Weise, wie es präsentiert wird, auf seinen Inhalt?
Als Untersuchungen zum Stellenwert des Dokumentarischen lassen sich die
Arbeiten der Berliner Künstlerin Ulrike
Kuschel begreifen. Im
ehemaligen Grenzwachturm im Schlesischen Busch hat sie eine zweiteilige
Ausstellung realisiert, die mit den Eckdaten 13. August 1961 und dem
20. März 2007 einen Bogen spannt, der die Geschichte der Berliner
Mauer umfasst. Während man aus dem zweiten Obergeschoss hinaus auf
den Park schaut, der früher Grenzstreifen war, füllen Stimmen
den leeren Beobachtungsraum. Es sind Reaktionen auf den Mauerbau,
Meinungen nicht genannter Bürger, welche die Berliner
SED-Bezirksleitungen im August/September 1961 mit dem Ziel sammeln
ließ, die Stimmung unter der Bevölkerung einschätzen
und entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können. Aus den
schriftlich fixierten Äußerungen der sogenannten
„Situationsberichte aus den Stadtbezirken“ traf Ulrike Kuschel eine
Auswahl und ließ die kurzen Sätze neu einsprechen.
Solchermaßen zweifach vermittelt, erreichen sie nun das Ohr des
Besuchers im Wachturm.
„Warum macht ihr keine Wahlen? Die Wahlen werden zeigen, was die
Bevölkerung denkt.“ „Lieber Känguruhfleisch essen als
bolschewistisch
werden.“ „Wie kommen die Kollegen aus den Randgebieten nach Hause?“ –
Dialekt, Umgangssprache und kontextbezogene Rede blieben in der
Transkription erhalten. Sie verleihen den
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Aussagen einen
authentischen
Ausdruck, während der stimmliche Klang ihnen aktuelle Präsens
verschafft. Die sechsminütige Audioinstallation „Jetzt wird
es noch
schöner – August 1961“ wird zum Filter, der die Wahrnehmung des
Wachturms und seiner Umgebung beeinflusst.
Nüchtern-museal werden im Zwischengeschoss sechs
vergrößerte
Zeitungsseiten vom 20. März 2007 präsentiert. Am Tag zuvor
hatte das
Berliner Kammergericht die einstweilige Verfügung des Berliner
Landgerichts gegen die Verbreitung des Buches „Deutsche Gerechtigkeit“
aufgehoben, in dem sich der Autor Roman Grafe kritisch mit den
unzureichenden Prozessen gegen DDR-Mau-
erschützen und die dafür politisch Verantwortlichen
auseinandersetzt.
Das Verbot war Folge einer Klage eines ehemaligen Politoffiziers, der
im Grenzregiment 33 tätig war und damit auch im Grenzabschnitt
Schlesischer Busch. Im Spiegel der sechs Zeitungen, die Ulrike Kuschel
zur Installation „20. (19.) März 2007, Deutsche Gerechtigkeit“
versammelt hat, erscheint das Ereignis aus mehreren Perspektiven mit
unterschiedlichen Wichtungen. Die Entscheidung, nicht nur die
Artikel, sondern die vollständigen Zeitungsseiten zu
präsentieren,
führt dazu, das beschriebene Ereignis nicht nur als Einzelmeldung,
sondern auch im Kontext der tagespolitischen Berichterstattung
wahrzunehmen.
Welchen Einfluss hat die Form eines Dokuments, die Art und Weise, wie
es präsentiert wird, auf seinen Inhalt? Die Ausstellung „Diese
Mauer“
ist der Versuch, den Wachturm als Bestandteil der Berliner Mauer,
erbaut aus politischen Gründen mit einschneidenden Folgen für
die
Bevölkerung |
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Ulrike
Kuschel: 20. (19.) März 2007, Deutsche Gerechtigkeit, 2007
Ulrike
Kuschel: „Jetzt wird es noch schöner – August 1961",
Audioinstalltion, 2007
der DDR, erneut ins Bewusstsein zu rücken. Ulrike Kuschel
wählt dazu
eine historisch-politische Ausstellungen imitierende Form,
verlässt
jedoch gleichzeitig deren engen Rahmen und ermöglicht eine
subjektiv
vermittelte Perspektive auf die dargestellten Ereignisse.
Presseecho: Interview
mit Ulrike Kuschel im WDR, 13. August 07
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Frans
van Lent: Raam
8.6. - 22.7.2007
Ein Schritt ans
Fenster. Eine Hand, welche die Augen gegen das Licht abschirmt. Ein
langer Blick hinaus auf die Straße. Der Weg zurück ins
Zimmer.
Eine Minute beansprucht der Ablauf in der Zeit, sechzig Mal hat der
Künstler Frans van Lent diesen einfachen und alltäglichen
Ablauf wiederholt. Was zuerst wirkt wie eine Schleife, die, wie im
künstlerischen Video üblich, betrachterfreundlich sechzig Mal
wiederholt wird, entpuppt sich als eine im Kontinuum der Zeit sich
entfaltende Handlung.
Entgegen also dem flüchtigen Eindruck, hier verstreiche sechzig
Mal die selbe Zeit wäre zu vergegenwärtigen, dass hier Zeit
verstreicht. Sechzig Minuten, in denen Dinge und Menschen sich
verändern, in denen Geschichte „passiert“, der Lauf der Sonne
voranschreitet, Gedanken verstreichen, die Konzentration
nachlässt, der Körper ermüdet. Tatsächlich
verändert sich im Verlauf des Films die Lichtsituation,
tatsächlich unterliegt der Gestus des Ans-Fenster-Tretens einer
gleichermaßen unvermeidlichen wie unauffälligen Varianz.
Doch sie ist nicht das Thema, genauso wenig wie die Wiederholung es ist.
Im
mittleren, von den eisernen Klappen der acht Schießscharten
gegliederten Geschoss des ehemaligen Grenzwachturms im Schlesischen
Busch wird der Film, in dessen Zentrum sich ein Fenster befindet, an
die Richtung Westen zeigende Wand projiziert. Das fiktive Fenster
scheint die Wand zu öffnen. Doch diese Symbolik greift zu kurz.
Die
Wand bleibt undurchdringlich und
verschlossen, genauso wie die Welt hinter der Fensterscheibe.
Wiederholung und Variation auch hier. Die sich bewegenden Blätter
des
Baumes, die vorbeihuschenden Autos, die man nur vermittelt durch eine
zweite Glasscheibe eines im Vordergrund parkenden Wagens wahrnimmt.
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Es gibt kein Geheimnis. Selbst wer die
Geduld aufbringt und sich, quasi
meditierend, in die ganzen sechzig Minuten des Films versenkt, wird
nicht mehr erblicken, als das, was schon die Anfangssequenz zeigt. Es
gibt keinen erkennbaren Grund ans Fenster zu treten. Es gibt keinen
äußeren Grund. Durch die Wiederholung wird die Geste
autonom, sie
verweist auf nichts anderes als auf sich selbst. Gleichermaßen
unbegründet und damit auch fragwürdig erscheint die Position
des
Betrachters. Durch ihn wird aus dem vermeintlichen Beobachter am
Fenster ein Objekt der Beobachtung. Anders als angenommen wird der
Blick des Betrachters nicht über die Schulter des fiktiven Beobachters
auf eine objektivierte Welt da
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draußen gelenkt, sondern
zurückgeworfen,
zurück in den realen Raum und in die Gegenwart.
Der gleichen Stoßrichtung folgt die Entscheidung Frans van Lents,
für
die Dauer der Ausstellung den Weg in den Aussichtsraum im Obergeschoss
zu versperren und damit den Blick nicht freizugeben auf das Geschehen
außerhalb des Wachturms. Das Fenster (niederl.: raam) öffnet
sich auch
hier nach innen.
Mit freundlicher Unterstützung des CBK Dordrecht.
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Georg Klein:
turmlaute.2
16.03. - 15.04.2007
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Das
satirische Kunstprojekt "turmlaute.2" des Klang- und
Medienkünstlers Georg
Klein (Berlin) hat seit der Eröfnung am 15.3.07 in der
Öffentlichkeit und bei Besuchern für erhebliche Verwirrung
und Irritation gesorgt. Der Auftritt als European Border Watch
Organisation mit eigener Website und echten
Einladungen an alle EU-Bürger, sich als Web-Patrol an der
Überwachung der EU-Außengrenzen zu beteiligen, wurde
vielfach ernst genommen und entsprechend kommentiert. Einsicht in die
Reaktionen
sowie die ersten Anmeldungen als Web-Patrol bietet das am
Installationsort ausliegende Kommentarbuch. Die Installation selbst
besteht aus drei visuell und akustisch gestalteten Innenrämen, die
von einem dichten, intensiven Klanggebilde durchzogen werden, sowie
Erweiterungen in den Außenraum:
– Erdgeschoss: Empfang und Registrierung durch die European Border
Watch
Organisation (EUBW),
– erstes Geschoss: Showroom mit sechs
Schießscharten-Webcam-Screens,
Liege und Telefon,
– zweites Geschoss: grüner, akustischer Controlroom mit
interaktiver
Überwachungstechnik und Stimme eines Grenzsoldaten,
– Dach: Außenlautsprecher und grün leuchtender
Suchscheinwerfer
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Georg Klein: turmlaute.2
Werden Sie Webpatrol!
Weiter zur European
Boder Watch Organisation
Presseecho: Deutschlandfunk,
5.4.07
Ein Projekt von KlangQuadrat
– büro für klang- und
medienkunst berlin
unter Mitarbeit von Amrei Buchholz (PR), Marina Szimkowski (Aufsicht)
und Alf Dobbert (komraum),
in Kooperation mit MaerzMusik/Berliner
Festspiele und Kunstfabrik am Flutgraben e.V. und in
freundlicher Zusammenarbeit mit Kulturamt Bezirksamt
Treptow-Köpenick
Berlin.
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LÜ 2006
Roland Boden/Institut fuer
Subreale Urbanistik: Konfuse magnetische
Wirbel
1.
- 29.10.2006
In letzter
Zeit sind wiederholt Berichte
über eigentümliche Licht- und Hitzeerscheinungen im Gebiet
des Schlesischen Busches, dem Gebiet zwischen der heutigen Puschkin-
und Jordanstraße und zwischen dem Flutgraben und der
Bouchéstraße im Berliner Stadtbezirk Treptow, aufgetaucht.
Es soll sich um anormale Erhitzungen metallischer Gegenstände,
teilweise bis zum Glühen, blitzartige Entladungen und ein damit
verbundenes Grollen und Dröhnen, was aus der Erde zu kommen
scheint, handeln. Diese Erscheinungen treten nur sehr selten in
unregelmäßigen Abständen auf und sind meist von recht
kurzer Dauer.
Ein Zusammenhang mit meteorologischen oder atmosphärischen
Ursachen
kann definitiv ausgeschlossen werden. Die Ursache der Erscheinungen
liegt offensichtlich im Erdinneren. Da die Phänomene
insbesondere mit
starken magnetischen Feldschwankungen gekoppelt sind, muß man
wohl von
einer magnetischen Anomalie ausgehen, für die es seit 1922 den in
der
Fachwelt umstrittenenen Begriff der konfusen magnetischen Wirbel gibt.
Man vermutet hierbei eine geologisch nicht erklärbare
ferritsche Ader
aus Magnetit, die möglicherweise von einer gigantischen Ablagerung
abgestorbener magnetotaktischer Bakterien herrührt. Der
Körper dieser
Mikroorganismen enthält Magnetit, welches zur Orientierung im
Erdmagnetfeld dient. Die extreme Massierung des Minerals führt im
Sinne
einer vertikalen Verklumpung bei einer Initialisierung zu einer extrem
starken kurzzeitigen Unwucht des Erdmagnetfeldes. Kommt es zu einer
derartigen magnetischen Eruption, so erhitzen sich insbesondere eiserne
Gegenstände im Einflußbereich in kürzester Zeit
sehr stark, im
Einzelfall kann es sogar zu blitzartigem Verdampfungen
führen.
Entsprechend veranlagte Personen können noch in
größerer Entfernung
sogenannte Magnetophosphene wahrnehmen.
In diesem Zusammenhang erscheinen nun auch einige Vorkommnisse aus
älterer und jüngerer Vergangenheit in einem anderen Licht.
Das
zweifellos älteste Ereignis ist das rätselhafte Ende einer
mongolischen
Streifschar nach der Schlacht bei Liegnitz in Schlesien im April
1241.
Eine mongolische Abteilung unter der Führung Kaidu Khans hatte
dort das
vereinte deutsch-polnische Ritterheer vernichtend geschlagen und drohte
nun ganz Mitteleuropa zu überrennen. Dazu sandten die
Mongolen größere
berittene Erkundungseinheiten nach Norden und Westen. Eine dieser
Einheiten verschwand im Sommer 1241 auf unerklärliche Weise
in der
Nähe der Stadt Cölln am Ufer der Spree. Askanische Chroniken
sprechen
von einem direkten Eingriff des Heilands, ein chinesischer
Schriftkundiger berichtet von teuflischem Feuer auf der Panzerung
der
Reiter und Blitzen aus deren Waffen, die einen Großteil der
Männer
tötete, der Rest ergriff in Panik die Flucht. Möglicherweise
ist dieser
Zwischenfall einer der Ursachen für den scheinbar grundlosen
Rückzug
der siegreichen Heere Batu Khans, ohne den Europa wahrscheinlich zu
einer mongolischen Provinz geworden wäre.
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Ende des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einem Vorfall in der dem
fraglichen Gelände benachbarten Jordanschen Chemiefabrik. Mehrere
schmiedeeiserne Kessel zur Anilinproduktion in der neben dem
Schlesischen Busch gelegenen Halle IV erhitzten sich am 14. Juli 1884
ohne erkennbaren Grund bis zur Weißglut. Es kam zu einer schweren
Explosion mit mehreren Verletzten. Da man Agenten der russischen
Geheimpolizei als Drahtzieher des Vorfalls vermutete, hatte das
Vorkommnis sogar Auswirkungen auf das im folgenden September
stattfindende Dreikaisertreffen. - Ein weiterer dokumentierter
Zwischenfall ereignete sich 95 Jahre später im Ende der 70er Jahre
errichteten Führungsturm der Grenztruppen der DDR. Auf dem
Gelände brach ein Feuer aus, Munition explodierte Grenztruppen der
DDR auf dem Gelände brach ein Feuer aus, Munition explodierte und
zahlreiche Schüsse lösten sich. Von westlicher Seite wurde
ein vereitelter Grenzdurchbruch vermutet, Stellungnahmen seitens
der DDR-Führung erfolgten üblicherweise nicht. Wie ein
Zeitzeuge, der damalige Unteroffizier der DDR-Grenztruppen Dollmeier,
jedoch heute berichtet, hatte es zum damaligen Zeitpunkt keinerlei
Fluchtversuch gegeben. Aus "unerklärlichen Gründen" hatten
sich plötzlich die Läufe einiger in der Waffenablage des
Turmes befindlicher MPi Kalaschnikow AK 47 extrem erhitzt, dadurch
lösten sich mehrere Schüsse, die hölzerne Waffenablage
fing Feuer und zwei Berufsunteroffiziere wurden in Folge des
Geschehens leicht verletzt. Später wurde der Vorgang nach
intensiver Untersuchung durch das MfS als heimtückischer
Anschlag des Klassenfeindes qualifiziert, dem es mit erhöhter
Wachsamkeit zu begegnen sei. Intern wurde von einem Verstoß gegen
den
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Befehl 30/74,
also Alkoholmißbrauch während des Dienstes, ausgegangen.
Die Schlußfolgerung liegt hier auf der Hand, daß in allen
historisch
weit auseinanderliegenden Fällen konfuse magnetische Wirbel die
Ursache des Geschehens waren. So läßt sich
möglicherweise auch die
Tatsache erklären, daß es im Grenzbereich Schlesischer Busch
ab 1961 zu
einer deutlich erhöhten Zahl von Schußwaffenanwendungen kam,
die mit
dem Terrain allein nicht zu erklären sind. heute geheimzuhalten
trachtet.
Möglicherweise haben Grenzposten hier zur eigenen Deckung im
Nachhinein eine sogenannte Grenzverletzung konstruiert, um die
unerklärliche und wenig glaubhafte Geschichte der sich quasi von
selbst
lösenden Schüsse zu erklären. Auch liegt die Vermutung
nahe, daß die
Wahl des Standortes des Führungsstellenturmes nicht zufällig
erfolgte.
Heute ist bekannt, daß der Leiter der Pionierabteilung des
Grenzregiments 33, Oberst Stumm, der unter anderem für die
Errichtung
der Führungsstelle zuständig war, ein leidenschaftlicher
Anhänger
verschiedener esoterischer Praktiken war und den Standort von zu
errichtenden Bauten persönlich mit Rutengang und
Energiefeldbestimmungen festlegte.
Laut Aussage von Zeitzeugen sollen auf dem Gelände allerdings
bereits
in den 20er Jahren durch Mitglieder der Thule-Gesellschaft und Anfang
der 40er Jahre durch das SS-Waffenhauptamt, Versuche unternommen worden
sein, die den Verdacht nahelegen, daß das Phänomen damals
bereits
bekannt war und man offensichtlich versuchte, es waffentechnisch
nutzbar zu machen. Erwähnt werden soll hier nur die
Magnetstrahlungskanone "Odin 2", mit deren Hilfe alliierte
Bombenangriffe abgewehrt werden sollten, die jedoch nie zur
Fertigstellung kam.
Die größte Unklarheit im Zusammenhang mit dem Phänomen
stellt die Frage
der Initialisierung der Wirbel dar, daß heißt, wann und
warum es zu
einer magnetischen Anomalie kommt. Früher vermutete Einflüsse
der
Corioliskraft, der Sonnenfleckenintensität oder anderer
physikalischer
extraterrestrischer Faktoren scheinen sich nicht zu
bestätigen. Es ist
jedoch offensichtlich möglich, mit einem sogenannten
Phasen-Resonanz-Applikator Ausbrüche kleinerer Intensität zu
veranlassen. Ein ähnliches Gerät wurde dem Vernehmen nach
auch in den
20er Jahren benutzt. Es handelt sich um elektromagnetische Spulen einer
bestimmten Anordnung, die ein wechselndes magnetisches Feld erzeugt,
was bei einer bestimmten Frequenz zu einem resonanten Wirbel
führen
kann. Eigentümlich ist, daß Geräte, die einer
kirchlichen Wiehe
unterzogen wurden, deutlich bessere Ergebnisse zeitigen.
Diesbezügliche
Nachfragen bei der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg blieben
leider ohne Ergebnis. Möglicherweise werden noch immer
Erkenntnisse im
Zusammenhang mit den beschriebenen Phänomenen als so brisant
erachtet,
daß man sie bis heute geheimzuhalten trachtet. |
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Tina Born: Pavillon
Nocturne
7. -
29.9.2006
Für den fensterlosen, lediglich mit
Schießscharten
versehenen Raum im ersten Geschoss des ehemaligen Grenzwachturms hat
Tina Born einen kristallinen Körper konzipiert, einen
unregelmäßigen Dodekaeder von glatter, glänzender
Oberfläche, die nichts über seine innere Beschaffenheit
verrät.
Tina Born:
Pavillon Nocturne (Entwurf), 2006
Im engen Raum wirft seine Anwesenheit Fragen auf,
zuallererst die, auf
welche Weise er hineingekommen ist. Mit seinem Umfang ist der
Körper zu
groß für die Öffnungen, durch die man den Raum betritt.
Das harte
spiegelnde Schwarz seiner Oberflächen, die das Licht reflektieren,
lässt ihn nicht nur als Fremdkörper erscheinen, sondern
verleiht
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Tina Born:
Pavillon Nocturne, 2006, Foto: air
art log
ihm
auch die Aura von schlummernder Macht, imstande, mit seinen scharfen
Kanten die Haut der ihn umschließenden Architektur zu verletzen.
Die Form irritiert damit nicht nur den Betrachter, sie stellt auch eine
Irritation der Architektur dar, vergleichbar mit einem
schmerzhaften Einschluss, einer kristallinen Form, die in einem
Organismus heranreift, bis sie, größer geworden, permanente
Reibung und Schmerz erzeugt, eventuell sogar zum Kollaps seiner
Umgebung
führt.
In seiner schwer begreifbaren Form, naturhaft einerseits, Gegenstand
komplexer mathematischer Berechnungen und wissenschaftlicher
Spekulation andererseits, hat der Dodekaeder seit jeher eine star-
ke Faszination auf die Menschen ausgeübt. Die Assoziationen, die
der aus zwölf Fünfecken zusammengesetzte Vielflächer
weckt, waren und sind vielfältig. Es gibt berühmte Belege in
der Kunstgeschichte, wie beispielsweise Dürers Kupferstich
„Melencholia I“ von 1514, diverse Zeichnungen M.C. Eschers oder
Salvador Dalís Gemälde „Das letzte Abendmahl“. Im 20.
Jahrhundert geisterte er als magischer Stein von meist
extraterrestrischer Herkunft
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durch Science
Fiction-Literatur und -Filme. Allen Vorkommen gemeinsam
ist die Faszination für einen immer noch rätselhaften
Körper, der für
Platon als fünfter
platonischer Körper das Weltall verkörperte. 2003 stellte ein
französisch-amerikanisches Forschungsteam die These auf, die Form
des
Weltalls entspräche einem in sich geschlos-
senem Dodekaeder und verlieh damit der Theorie des antiken
Wissenschaftlers Aktualität – auch wenn die These bisher nicht
bewiesen
werden konnte.
Im Turm zwingt die räumliche Enge den Besucher, sich dem schwarzen
Körper dicht anzunähern. Die Kontaktaufnahme dabei ist
unvermeidlich.
Unvermeidlich auch, dass die glatten Oberflächen mit seinem
Spiegelbild
ihr Spiel treiben. Dieser Umstand lässt sich als direkter
ikonografischer Bezug verste-
hen: Dürers berühmter Dodekaeder in „Melencholia I“ enthielt
ein
Geheimnis, das erst Anfang der 1930er Jahre gelüftet wurde. Da
entdeckten Kunsthistoriker in dem hellen Schatten auf einer seiner
Flächen ein Bildnis, vielleicht ein Selbstbildnis Dürers.
Giacometti
rekurrierte auf diese Entdeckung, als er 1934 mit der Bronze „Der
Kubus“ ebenfalls eine Dodekaeder-Form schuf, in die er ein flaches,
nahezu unsichtbares Selbstbildnis eingravierte. Die Plastik, der er
auch den Titel „Pavillon Nocturne“ gab, offenbart ein
verwirrendes
Raumverständnis, in der die kleine Form gleichzeitig Innen und
Außen,
Ausschließendes und Einschließendes, Kopf und Weltraum ist.
Mit dem Titel „Pavillon Nocturne“ spielt Born mit der zweifachen
Auslegung: dem Bezug auf Giacomettis Werk und der Möglichkeit, die
dunkle Vergangenheit des Wachturms, der seiner ursprünglichen
Funktion
enthoben und von einer Parklandschaft umgeben ist, als
"nächtlichen
Pavillon" zu betrachten.
Presseecho: Interview
Svenja Moor von air art log
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Dave
Allen: One Way, Another
Way,
Then Any Other Way
10.8.
- 3.9.2006
Fünf Takte, 25 mit
Nummern versehene Noten. Dazu eine kurze Anweisung an die Musiker:
„Spiele die Noten von links nach rechts nach folgendem Schema: 1, 1-2,
1-2-3, 1-2-3-4 etc. Wenn du auf diese Weise die fünfundzwanzigste
Note erreicht hast, wiederhole einmal die gesamte Melodie. Dann beginne
von vorn, dabei jeweils die erste Note auslassend, also:
2-...-25, 3-...-25, 4-...-25, ..., 22-23-24-25, 23-24-25, 24-25, 25.
Halte die letzte Note so lange, bis alle sie erreicht haben. Danach
beginne zu improvisieren ....“
Der Performance im ehemaligen Grenzwachturm liegt das Intro des Beach
Boys-Songs “Wouldn't It Be Nice” zugrunde. Der Hit von 1966 besingt
zwei Liebende, die davon träumen, wie schön es wäre, nie
wieder
voneinander getrennt zu sein. Mit der beschriebenen additiven Methode
wird die kontinuierliche Tonabfolge aufgebrochen und die Melodie in
ihre Bestandteile zerlegt. Es entsteht eine neue, wesentlich
längere
und stark schematisierte Melodie. Das Kompositionsschema zitiert
Frederic Rzewski (*1938), der zu den wichtigsten und
eigenwilligsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts
zählt. Improvisatorische
Elemente, der Einsatz von elektronischen Live-Instrumenten, die
Aufhebung der Unter-
scheidung von Hoch- und Volkskultur, |
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überhaupt
die Vereinigung von scheinbar Gegensätzlichem prägen sein
Werk.
Auch die Arbeiten von Dave Allen können für sich in Anspruch
nehmen, bestehende
Differenzen aufzulösen, etwa die zwischen Bildender Kunst und
Musik,
Akteur und Zuhörer, Amateuren und Profis. Dave Allens
Übertragung von
Rzewskis Schema auf den Beach Boys-Song gleicht einer Eins zu
Eins-Umsetzung von Inhalt und Form, indem das Motiv des
Sich-Annäherns
und wieder Voneinander-Entfernens in der Abfolge der Noten umgesetzt
ist.
So nähert sich die Melodie allmählich ihrem Ursprung an, wird
einmal
ganz gespielt (1-...-25), um sich dann wieder von ihr zu entfernen.
Auch zwischen den einzelnen Instrumenten bzw. den Musikern geht es ums
Zusammenkommen und Auseinandergehen. So heißt es weiter in der
Anweisung an die Musiker: „Alle spielen in exakter
Übereinstimmung.“
Und: „Spiele die ganze Zeit laut, höre nicht auf zu spielen und
halte
nicht inne. Spiele solange wie möglich in Übereinstimmung mit
den anderen, aber wenn du den Anschluss
verlierst, versuche nicht, aufzuschließen. Versuche nicht, den
Weg
zurück in die Gruppe zu finden.“
In der Besetzung einer klassischen Rockband spielen Dave Allen und die
Astrid Marshall-
Band am Abend des 10. August im Wachturm der Notation der Beach Boys
und den Regeln
Allens folgend auf Gitarre, Bass und Drums. |
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raumlabor_berlin:
Wohnen im Turm. Bauvorhaben: Wohnanlage Schlesischer Busch
8.06.
- 30.7.2006
Mit
dem Projekt
„Wohnen im Turm. Bauvorhaben: Wohnanlage Schlesischer
Busch“ bespielt die Architektengruppe
raumlabor_berlin acht Wochen lang
den ehemaligen Grenzwachturm im Schlesischen Busch im Rahmen der Reihe „Letzte
Überprüfung“. Ausgangspunkt bildet der Grenzwachturm mit
seiner funktionalen Architektur, seiner Geschichte und aktuellen
Bezügen. Als sogenannte Führungsstelle erfüllte der
Grenzwachturm im
Schlesischen Busch eine besondere Funktion im System der
Berliner Mauer. Von hier aus wurden 18 untergeordnete Wachtürme im
Grenzabschnitt geleitet und die elektronischen Grenzsicherungsanlagen
beaufsichtigt.
raumlabor_berlin:
Wohnen im Turm, 2006
Seit dem Fall der Mauer verläuft durch die neue bzw. alte Mitte
des wieder zu einer Stadt gewordenen Berlin ein Raum, der seine
Funktion verloren hat. Nach einer knapp 30-jährigen Nutzung
entstand an dem 44 Kilometer langen Streifen, der sich zwischen Vorder-
und Hinterlandmauer aufspannte, ein für Teile der
Öffentlichkeit schwer zu
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ertragendes Vakuum. Andere wiederum
sahen in dieser einmaligen Leere mitten in einer Großstadt einen
Nährboden für temporäre und sich verstetigende urbane
Nutzungen. Während die einen sich wünschten, die Stadt
möge so schnell
wie möglich wieder zusammenwachsen und ihre Wunden heilen,
bedauerten
die anderen das damit verbundene Verschwinden von Spuren der
Geschichte.
Am Schlesischen Busch gibt dem Unkundigen nur noch der Wachturm
Aufschluss über die
vergangene Geschichte der heutige zum Park umgewandelten Anlage. Unweit
von hier, an der Heidelberger Straße, der Bezirksgrenze zwischen
Treptow und Neukölln, haben sich der Jugendzirkus Kabuwazi und ein
Discounter der Plus-Kette niedergelassen. Ein Zirkuszelt und eine
Supermarkthalle,
gewöhnlich eher in den Vororten anzutreffende Bautypologien des
Temporären, verleihen dem ehemaligen Mauerstreifen den Charakter
der
Peripherie.
Das Projekt „Wohnen im Turm“ thematisiert diese Wahrnehmung. Der
denkmalgeschützte Wachturm als markantestes Relikt der Berliner
Mauer
in Berlin-Treptow wird zum Planspiel freigegeben, um in einen
gewöhnlichen Bautyp der Peripherie umgewandelt zu werden: das
Einfamilienhaus. In der ersten Phase vom 8. Juni bis zum 5. Juli werden
Francesco Apuzzo und Axel Timm von raumlabor_berlin
ihr Planungsbüro in den Wachturm verlagern und mit den
Ausstellungsbesuchern als
potentielle „Bauherren“ Szenarien der Umnutzung in Zeichnungen und
Modellen erarbeiten. Ein Bauschild an der Puschkinallee gibt nicht nur
Auskunft über das Projekt und „wirbt“ Ausstellungsbesucher als
Teilnehmer beim Planungsspiel, hier wird auch wöchentlich ein
ausgewähltes Bauvorhaben präsentiert. In der zweiten Phase
vom 6. Juli bis zum 30. Juli werden im Turm die entstandenen
Entwürfe ausgestellt.
Presseecho: RBB-Kulturradio,
6.7.06
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Wachturmmodell,
Foto: C. Diribas
Wachturmmodelle,
Foto: C. Diribas
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Sofia
Hultén: Events With
Unknown Outcome
4. - 28.5.2006
Sofia
Hultén: Events
With Unknown Outcome, Installationsansicht
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Sofia Hultén
präsentiert im Grenzwachturm
Schlesischer Busch eine vierteilige Videoarbeit als Ergebnis ihrer
Beobachtungen im umliegenden Park. Vier Bildschirme erweitern das
Panoptikum der Freiwache im zweiten Geschoss des ehemaligen Wachturms.
In den Bildausschnitten der Fenster und der Monitore mischt sich
Gegenwärtiges mit Vergangenem, real
Vorgefallenes mit Inszeniertem. Der Betrachter kann sich der
Perspektive nicht entziehen, wird ebenfalls zum Beobachter, der seine
eigenen Spekulationen über den Sinn der Vorgänge im Park
anzustellen
beginnt. Dabei gilt letztlich für das Geschehen im Park dasselbe
wie
für die Beobachtung auch: Es sind Handlungen ungewissen Ausgangs.
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Sofia
Hultén:
Events With Unknown Outcome, 2006 (Detail), Fotos: S. Hultén
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Die Projekte 2006
wurden ermöglicht durch die Projektförderung der
Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur.
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Ines
Tartler: offen
1.09. –
9.10.2005
Sechzehn Fenster und acht Schießscharten hat der ehemalige
Grenzwachturm im Schlesischen Busch. Mit einer sparsamen Geste hat die
Künstlerin Ines
Tartler den Wachturm geöffnet, hat die
Fensterflügel in der sogenannten Freiwache aufgemacht und die
Keile der Luken im mittleren Geschoss des Wachturms gelöst. Jetzt
weht der Wind durch das Gebäude. Dringt tagsüber warme und
nachts
kalte Luft ein. Die Geräusche aus dem Park rücken näher
und der
Autolärm von der Straße. Und über die Wände tanzen
Schatten. Manchmal
erkennt man die sich bewegenden Blätter der alten Eichen oder
einzelne
Autos, die – den Gesetzen einer Camera Obscura entsprechend –
überkopfstehend auf den Innenwänden vorüberziehen.
Ines
Tartler: offen, 2005, Fotos: Ines Tartler
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Es sind nicht
nur diese Bilder der Außenwelt, die unter bestimmten
Lichtverhältnissen durch die Öffnungen in den Turm einfallen.
Das ganze Gebäude ist zu einem Verstärker geworden, der die
von außen eindringenden optischen, haptischen und akustischen
Reize einsammelt, in sich konzentriert und an den Besucher in
seinem Inneren weitergibt. Die Wahrnehmung wird in dem leeren, auf
seine Architektur reduzierten Wachturm geschärft. Vielleicht liegt
darin eine Ähnlichkeit zu der konzentrierten Aufmerksamkeit,
welche die hier diensttuenden Grenzsoldaten an den Tag gelegt
haben. Aber die sichere Beobachterposition, die sich noch heute
jedem aufdrängt, der sich in der sogenannten Freiwache
aufhält, ist nicht mehr haltbar. Denn nun dringen die Blicke
ungehindert in beide Richtungen durch die geöffneten Fenster.
Andeutungsweise ist die ursprünglich konstitutive Situation des
sicheren Drinnen und des den Blicken preisgegebenen Draußen
aufgehoben.
Versöhnlich ist diese Geste von Ines Tartler, insbesondere bei
Sonnenschein, aber naiv ist sie nicht. Wo der Blick durch die
Schießscharten jetzt gen Westen zu den Büschen geht, die den
Flutgraben säumen, verfing er sich früher am letzten
„Sperrelement“, der 3,60 m hohen Mauer.
Zu keiner Zeit hätten die Grenzsoldaten sonnenbadende Parkbesucher
in Sichtweite erblickt, nie wäre ihr gelangweilter (folgt man den
Inschriften in den Fensterleibungen: manchmal auch sehnsüchtiger)
Blick der Autoschlange gefolgt, die heute wieder die einstige Sackgasse
belebt.
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Durch die Öffnungen des Wachturms, durch die
Lüftungsschlitze, die Schießscharten, die
Türen und Fenster strömt die Gegenwart in ihren
vielfältigen
Erscheinungen in den Turm und formt im Besucher einen Eindruck –
widersprüchlich oder stimmig, intensiv oder flüchtig.
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Shahram
Entekhabi: kilid
14.7.
– 21.08.2005
Shahram
Entekhabi: kilid, 2005
Shahram Entekhabi:
kilid, Innenansicht, 2005
„Sicherheitshinweis: Bitte achten
Sie auf verlassene
Gegenstände und Gepäck in den Zügen und auf den
Bahnsteigen.
Informieren Sie uns über die Notrufsäule.“ Das ist seit den
Attentaten
in London der neue mitlaufende Untertitel im Programm des „Berliner
Fensters“ in den U-Bahnen der Hauptstadt. Er ist der Untertitel unter
Werbung, verblödenden Celebrity-Nachrichten und meist
drittklassigen
Veranstaltungshinweisen und Kochtipps. Das Berliner-Fenster:
unbewusstes Medium eines
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zynischen Realismus’ zwischen Mord,
Bedrohung, Kitsch, Krieg, Sicherheits-
hinweisen, Infotainment und Reklame.
Die Sicherheitsmaßnahmen
sind wie das Schirmaufspannen nach dem Regen,
wenn schon alle nass sind. Wann schießt und bombt wer und warum?
Wie
wird Ideologie legitimiert? Wie wird Fundamentalismus dekliniert? Wie
wird nationale Sicherheit begründet?
An der ehemaligen physischen Grenze der Blockmächte des Kalten
Krieges,
an der ehemaligen innerdeutschen Trennlinie zweier gesellschaftlich
organisierter Ideologien, auf einem der letzten Grenzwachtürme der
ehemaligen DDR in Berlin leuchtet und glänzt die Arbeit „kilid“
des im
Iran gebürtigen Künstlers Shahram Entekhabi. Ein sechs
Meter langer Aluminium-Schlüssel (kilid, zu deutsch
Schlüssel) mit über
400 Glühbirnen bestückt, eingefärbt in den Farben der
Iranischen Flagge
mit dem eingearbeiteten Motiv der Tulpe Allahs, überleuchtet den
ehemaligen Grenzstreifen und markiert damit eine aktuelle ideologische
Grenze, eine Grenze, die in einem heißen und akuten Krieg
umkämpft
wird.
Hat man die eine Feindschaft
scheinbar überwunden, findet sich sogleich eine neue. Die
Ideologie des islamischen
Fundamentalismus steht gegen die Ideologie eines hysterischen,
industrialisierten Christentums und der aus ihm abgeleiteten
Gesellschaftssysteme.
Entekhabis „kilid“ ist auch als Symbol und als Referenz auf die kleinen
Plastikschlüssel zu verstehen, die bei der Rekrutierung von
Kindersoldaten im Iran/Irakischen Krieg den Kindern als Schlüssel
zum
jenseitigen Paradies ausgehändigt wurden, bevor sie, damit
ideologisch
für den Märtyrertod ausgerüstet, als Minenfutter zur
Klärung der
Minenfelder eingesetzt wurden. Die Bomben zerfetzen die Leiber, die
Seelen flüchten sich
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ins
Paradies. Im Wachturm findet der Besucher
unzählige gebrauchte metallene Original-Schlüssel, die keine
Schlösser
mehr schließen oder öffnen. Der Besucher darf sich einen
aussuchen und
mit nach Hause nehmen.
Entekhabis Arbeit, die auch an
Leuchtreklame, Jahrmarktsästhetik und Dorffeste erinnert,
konterkariert den Beton-
turm, der als Überrest eines vergangenen, ehemals stolzen,
industrialisierten Sicherheitssystems nun zu dessen Symbol und Referenz
wurde.
Was ist grausamer: Die Entwicklung von Waffen, die schließlich
wie in einem Computerspiel von der Generation der
Playstation-Fanatiker unbemannt gegen den Feind gelenkt werden
können
und den sauberen Krieg suggerieren und deren Technik auch in
Grenzbefestigungs- und Sicherheitssystemen Verwendung finden wird oder
die Verführung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen der
eigenen
Bevölkerung und Nation, die sich zum Opfer machen lassen und sich
selbst als Waffe zur Verfügung stellen? Als Lohn wird mit dem
Einzug in
Allahs Herz bezahlt. Die industrielle und digitale Waffentechnik dient
dem Spiel der Waffenindustrie im Kampf um ihre Absatzmärkte, im
Realtest in aktuellen Krisen- und Kriegsregionen auf ihre
Funktionstüchtigkeit geprüft. Die fanatische
Religiosität dient den Mullahs zur Absicherung ihrer
Machtinteressen.
Wann schießt und bombt wer und warum? Wie wird Ideologie
legitimiert? Indem Sharam Entekhabi seine Arbeit „kilid“ auf den
Wachturm montiert, werden in dieser gegenseitigen Konfrontation neue
Bezugs- und Interpretationsfelder sowohl für seine Arbeit als auch
für den Turm als historischem Restbestand aufgezeigt.
Mit freundlicher
Unterstützung von THW Treptow-Köpenick und Zumtobel Staff.
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LÜ
2005
Sigalit
Landau: Barbed Hula
19.5. – 10.7.2005
Ein langsames Kreisen der
Hüften
hält den Reifen in Bewegung. Sein Gewicht drückt ins
Fleisch und hinterlässt dort Einkerbungen und blaue Flecken. Die
Stacheln, mit denen er bewehrt ist, verletzen die Haut. Aber die
Bewegung hält an – endlos, monoton und gleichgültig wie
das Meer im Hintergrund der Szene.
2001 ist „Barbed Hula“ entstanden, in Form einer
nicht-öffentlichen
Performance, aufgeführt von der israelischen Künstlerin
Sigalit Landau
am Strand der Mittelmeerküste bei Tel Aviv. Der so schmerzhaft
anzusehende, kurze Film – es handelt es sich um eine Sequenz von
eineinhalb Minuten, die durch Wiederholung zur Endlosschleife wird –
ist verlangsamt. So tritt das Kreisen des Stacheldraht-Reifens
in den Vordergrund, gerät das Aufeinandertreffen von verletzlichem
Körper und unnachgiebigem Stacheldraht in den Fokus der
Wahrnehmung,
wird die auslösende Bewegung der Hüften so weit
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zurückgenommen,
dass
der Reifen von sich aus, aus eigenem Antrieb zu kreisen scheint.
Sigalit Landaus Performance weist über den Rahmen individueller
körperlicher Erfahrung hinaus. Das Bild einer sich erst in der
Aktion
konstituierenden, gewaltvollen Grenze lässt sich sehr direkt auf
den
seit Jahrzehnten andauernden Konflikt zwischen Israel und
Palästina
übertragen. Gleichzeitig erlaubt
die aufs Elementare reduzierte Abstraktion des Films – der nackte
Körper, das Rauschen des Meeres, die einfache und endlose Bewegung
–
seine gleichnishafte Übertragung auf die Erfahrung von politischen
Grenzen.
Im ehemaligen Grenzwachturm Schlesischer Busch, Relikt und Symbol der
Grenzanlagen um West-Berlin, weckt der „tanzende“ Körper der
Künstlerin ein Gefühl für die Körperlichkeit einer
auf Funktionalität ausgerichteten Architektur. So werden nicht nur
die heutige Leere des Wachturms und die Abwesenheit seiner einstigen
Nutzer spürbar, sondern es entsteht auch eine Ahnung für die
Körperlichkeit eines Systems, das sich selbst in endloser
Umdrehung gefangen hielt. Ähnlich wie der Schwenk weg vom
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Sigalit Landau:
Barbed Hula, 2003
malträtierten Körper auf das Meer beim
Betrachter der gefilmten Performance ein Gefühl von Erleichterung
auslöst, wird der Aufstieg aus dem Dunkel des Zwischengeschosses
in die
rundum verglaste Freiwache als Erlösung erlebt. Doch bleibt auch
hier der
Ausblick auf die Natur ambivalent. Zwar hat der Park mit dem einstigen
Grenzgebiet nur noch die Übersichtlichkeit gemein, doch der Blick
des Betrachters von oben ist derselbe geblieben.
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Abwehr-Performance-Festival
25./26.8.2007
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Nezaket
Ekici: Nazar
Bekleidet mit einem langen Gewand, bestehend aus 600
leuchtend blauen
Glasamuletten, schreitet Nezaket Ekici durch die
Kreuzberger
Wrangelstraße. Die aus der Türkei stammenden “Blauen
Augen” (türkisch: nazar) sollen Schutz geben und den bösen
Blick abwenden. In der schillernden, 40 Kilogramm schweren Robe zieht
die Künstlerin jedoch erst einmal alle Blicke auf sich. So
ist sie einerseits machtvolle Trägerin des Amuletts und
droht andererseits Opfer der Blicke zu werden. Die
Performance “Nazar” erzeugt ein attraktives Bild und
thematisiert gleichzeitig Paradoxien der Abwehr. Die
Erstaufführung von „Nazar“ fand 2005 in Istanbul statt.
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Duo Stoll &
Wachall: Des-Infektion
Laut dem Deutschen Arzneimittelbuch bedeutet Desinfektion, „Totes oder
lebendes Material in einen Zustand versetzen, dass es nicht mehr
infizieren kann“. Im Namen der Abwehr wurde das Duo Stoll &
Wachall engagiert, das in Schutzanzügen und Kanistern auf
dem
Rücken
den Schlesischen Busch durchstreift. Ihr Auftrag: Wir
desinfizieren
den Park und seine Besucher, um vor möglichen Infektionen zu
schützen.
Wir erhöhen durch unsere Sicherheitsmaßnahme die
allgemeine Hygiene
und Hysterie. Wir kümmern uns um unsichtbare Killerzellen. Wir
wehren
Angriffe von Bakterien, Keimen und Viren ab. |
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Anny und Sibel
Öztürk:
NÖ-Performance
Erleben Sie eine Neuauflage von Beuys' legendärer Kunstaktion "Ja
ja ja ja ja, nee nee nee nee nee", aufgeführt 1986 an der
Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf!
Anny und Sibel Öztürk treffen sich auf einer grünen
Wiese und machen das, was türkisch-stämmige
Mitbürgerinnen im öffentlichen Berliner Grün gerne und
stets gekonnt tun: Sie picknicken. Und was tun die zwei, die sich
picknickend im Berliner Grün öffentlich verbreiten?
Richtig: Sie rezipieren Joseph Beuys! Dem historischen Vorbild
entsprechend, wechseln sich die Schwestern in den Akten der
Bejahung und der Verneinung ab. Das "Nee" wird dabei durch das
emphatischere "Nö" ersetzt. |
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Ona Tav: Der
Körper als Quelle
Man geht durch einen Park. An einem seiner Bäume steht eine
weiße Ritterrüstung an den Stamm und an zwei seiner
Äste gefesselt. Aus den Augenshöhlen fließen
Tränen aus Rotwein, die den weißen Körper geißeln
und hinabfließen bis zu den Füßen in ein Becken, auf
dass der Durst gestillt werde. Tag für Tag erhebt sich der Baum.
Die Wolke ist das Dach des Himmels und wir trinken von ihrem
Schweiß. Wir tauchen unseren Kelch in Tränen von Wein, damit
sie sich in unserem Hals in Feuer verwandeln um danach die
Tränen des Himmels zu erwarten. Es gibt keine Seele ohne Welt und
keine Tränen ohne Seele. Er hat sich in Metall gekleidet, um
den Schmerz der Welt aufzuhalten und konnte seine eigenen Tränen
nicht aufhalten. |
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Nevin
Aladag: Raise The Roof
Nevin Aladag inszeniert eine Art Tanz auf dem Dach
der Kunstfabrik.
Vier Tänzerinnen bewegen sich zum Takt von vier
Musikstücken, von denen die Zuschauer lediglich die Titel und
die jeweilige Dauer erfahren. Zu hören dagegen ist das
elektronisch verstärkte Geräusch, das die
spitzen Pfennigabsätze beim Durchstoßen des
Tanzbodens verursachen. Dieser Tanz auf dem Dach, wo früher
die DDR-Grenzsoldaten patrouillierten, ist kein
gemeinschaftlicher Tanz. Auf zweifache Weise isoliert,
abgegrenzt sowohl untereinander als auch von der Gruppe der
Zuschauer, haben die den Tanz konstituierenden Gesten der
Anziehung und Abwehr jeden Bezugspunkt verloren. |
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Shahram
Entekhabi/Becky Ofek:
Boxing Box
Ein giftiger, dreckiger Duft liegt über der schattendurchfluteten
Arena. Der Duft, der keine Rückkehr verspricht. Hier geht es nicht
ums Kämpfen; hier geht es um Leben, meine lieben Freunde.
Kommt und seht warmes wütendes Blut zweier gefährlicher
Narren in einem unvergesslichen Kampf der Geschlechter wie ein
russisches Atomkraftwerk explodieren. Frau gegen Mann, Bitch versus
Bastard. Werdet Zeugen der kämpfenden Zyklopen, die hoch oben
auf dem Dache des Wachturms ihren Geschlechterkampf hart aber
gerecht austragen. Bäng Bäng Buff. Nach traditioneller
Boxmanier wurden im Vorfeld Ankündigungsposter in der ganzen Stadt
geklebt. Das Publikum raunt und staunt. |
Abwehr ist ein Projekt
von
Shahram Entekhabi und
Svenja Moor
in Kooperation mit
der Kunstfabrik am Flutgraben e.V. und
mit freundlicher Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters
von Berlin, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten |
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Fotos
oben mitte, unten links/mitte: Lars Frers, Lizenz: CC-BY-SA-NC
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Impressum |
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Flutgraben
e.V.
Am Flutgraben 3
12435 Berlin
Tel.: +49 30 53 21 96 58
E-Mail: info [ett] flutgraben [punkt] org
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Team
LÜ 2005: Sirid Amsel, Mari Brellochs, Elke Frietsch, Svenja Moor
Team LÜ 2006: Svenja Moor, Ines Tartler
Team LÜ 2007ff: Svenja Moor, Birgit Neumann (Mitarbeit)
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©
2009
Alle Rechte vorbehalten: Flutgraben e.V. |
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Letzte
Überprüfung im Schlesischen Busch ist ein Projekt des Flutgraben e.V.,
mit freundlicher
Unterstützung vom Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin
Treptow-Köpenick, Abteilung Umwelt, Grün und
Immobilienwirtschaft,
ausgezeichnet mit dem Gütesiegel Berliner Mauer der Senatskanzlei
Berlin. Teilnehmer am Netzwerk Mauerfall09.
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